Stand: 30.04.2024
Mascha
Grieschat
Zur Bundestagspetition vom 28.01.2018
Die Bundestagspetition (2018) für eine umfassende Geburtshilfereform, gegen jegliche Gewalt im Kontext von Geburtshilfe - zur Umsetzung der veröffentlichten WHO-Präventions- und Hilfemaßnahmen im
Statement von 2014 und 2018 (siehe unten) ist nach wie vor aktuell. Derzeit läuft eine Anfrage an das Bundesministerium für Gesundheit zu den aktuellen Plänen und zur Positionierung der Sachlage.
Sobald es Infos gibt, werden sie hier veröffentlicht. Erfahrungsgemäß können dafür Monate bis Jahre ins Land gehen (vgl. Antwort des Petitionsauschusses unten).
Stand: 21.06.2020
Mascha
Grieschat
Zur Bundestagspetition vom 28.01.2018
Über zwei Jahre nach Einreichung ist die Petition 2018 aktueller denn je - denn der Petitionsausschuss hat in seiner Antwort vom Juni 2020
auf erschreckende Weise gezeigt, dass er die Missstände in der Geburtshilfe nicht verstanden hat. Konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von physischer, psychischer und struktureller Gewalt im Sinne der
Weltgesundheitsorganisation und der Istanbulkonvention werden nicht empfohlen.
Die
WHO-Maßnahmen seien laut Bundesministerium für Gesundheit (BMG) weitgehend umgesetzt (außer
eventuell der Aspekt zur Forschung). Ferner
seien im Jahr 2015 nur rund 160-200 Fälle von Behandlungsfehlern registriert, für Betroffene gäbe es genügend Wege. Die Petition soll dem Bundesministerium
für Gesundheit darum als "Material" übergeben werden, was soviel bedeutet wie: "Schön, dass wir drüber gesprochen haben" - denn eine öffentliche Information über den nach einem Jahr fälligen Bericht
wird es nicht geben. Ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen und alle Fachleute, die sich seit Jahren mit dem Thema Gewalt im Kontext von Geburtshilfe auseinandersetzen. Fast 25.000 Menschen und
große Vereine haben nicht ohne Grund diese Petition gezeichnet und sich gemeinsam für eine bessere Gebutshilfe stark gemacht.
Die Antwort verkennt die
Expertise von Mitgliedern und Vereinen wie allen drei Hebammenverbänden, Terre des Femmes e.V., Mother Hood e.V., greenbirth e.V., AKF
(Arbeitskreis Frauen in der Medizin), ISPPM e.V. und viele andere.
Der Erfolg: Die Linken und die
Grünen haben im Petitionsausschuss für eine Umsetzung der Petition gestimmt! Die Grünen haben einen Antrag auf einen Kulturwandel in der Geburtshilfe gestellt, der aktuell in mehreren Ausschüssen
diskutiert wird (Stand Nov. 2020) - z.B. hier (Parlamentsfernsehen/Archiv, Zeit: 1:34:00)
Was zuvor geschah: Einreichung der Bundestagspetition für eine umfassende
Geburtshilfereform im Januar 2018 mit folgender Erklärung:
Hamburg/Berlin: Die geburtshilfliche Versorgung in Deutschland hat ein katastrophales Ausmaß angenommen. Kreißsäle schließen in der Stadt und auf dem Land. Es gibt so extremen Hebammenmangel, dass viele
Kreißsäle überfüllt sind und sogar zeitweilig schließen müssen: Ein Drittel der geburtshilflichen Kliniken hat im letzten Halbjahr 2017 Frauen unter der Geburt abgewiesen (DGGG 2018).
Dass die zeitgleiche "Betreuung" von drei, vier oder noch mehr Frauen und ihren (ungeborenen) Babys durch eine Hebamme nicht den nötigen Versorgungsstandard halten kann, ist unbestritten
(DHV 2016, SZ 2018). Im
gesamten Kontext von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett kommt es zu psychischer, physischer und struktureller
Gewalt - die Ursachen dafür sind facettenreich und reichen von mangelhaften Arbeitsbedingungen und übersteigerter Ökonomisierung, über Haftpflichtproblematik bis hin zu Machtmissbrauch.
Offizielle Zahlen fehlen, aber Fachleute und Geburtsaktivist*innen sprechen je nach Definition der Gewalt von 10%-50% Betroffenen.
Sämtliche bisherige
Lösungsansätze der Bundesregierung reichen angesichts des jahrzehntelang gewachsenen Handlungsbedarfs nicht aus. "Hebammen und Gynäkologen fordern Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung der Geburtshilfe"
titelt der Deutsche Hebammenverband bereits im Januar vor zwei Jahren (DHV 2018) und fordert zum Weltfrauentag: "Gewaltfreie Geburt ist ein Frauenrecht" (DHV). Schon 2016 warnte er
vor Auswirkungen bei Personalengpässen im Kreißsaal. Elternverbände fordern seit Jahren: #sichereGeburt, die Roses Revolution Deutschland macht
seit 2013 auf die Gewalt in der Geburtshilfe aufmerksam. Die Bundesregierung muss sofortige, mittel- und langfriste Maßnahmen ergreifen und endlich - nach Jahren
des Protests von Eltern und Hebammen - eine umfassende Geburtshilfereform veranlassen. Die Umsetzung des von der WHO empfohlenen Maßnahmenpakets ist unumgänglich.
_______
Mit einer Bekräftigung der Bundestagspetition (Nr. 76417) können Sie sich aktiv für eine Geburtshilfereform und gegen Gewalt
einsetzen.
Ob privat, als Verein oder Organisation: Alle können unterstützen!
Unterschriftenlisten downloaden, unterschreiben und an den Bundestag schicken!
Deutscher Bundestag | Petitionsausschuss |Platz der Republik 1 |11011 Berlin - Betreff: Petition Nr. 76417
Und/Oder einfach Postkarte oder Brief schreiben und sagen, warum Geburtshilfe reformiert werden muss - z.B. Bericht von Betroffenen, Hebammenberichte
etc.
Berichte und Unterstützungschreiben auch per Mail möglich: post.pet@bundestag.de
DANKE für die Beteiligung!
Es gibt etwas Positives an der unsäglichen Antwort des Petitionsausschusses: Sie ist fachlich so mangelhaft, so realitätsfern und einseitig, dass sie nach Öffentlichkeit schreit. Alle, die
sich für eine bessere Geburtshilfe stark machen möchten, können eine gemeinsame Stellungnahme zeichnen, die im Wesentlichen die Wichtigkeit und Aktualität der bisherigen Petition unterstreicht und
die Unrichtigkeit der Antwort des Petitionsausschusses belegen.
Der Plan: Verfassen einer kurzen prägnante gemeinsame Stellungnahme, die erneut von allen Vereinen und Einzelpersonen unterzeichnet
werden kann, die ergänzt wird durch vertiefendere Antworten der einzelnen Expertinnen und Experten für den jeweiligen Fachbereich oder das Herzensthema.
Z.B. ISPPM und Traum(a)Geburt e.V. für Auswirkugnen von Geburtstrauma bei Mutter und Baby, Rosenmütter zur jurisitschen Situation, Hebammenverbände zu den Maßnahmen der Bundesregierung, Mother
Hood e.V. zu konkreten Möglichkeiten der Verbesserung, AKF zum Thema unnötige Kasierschnitte als strukturelle Gewalt, Terre des Femmes e.V. zum Thema sexuelle Gewalt, Retraumatisierung etc. (als
Vorschläge)
Wortlaut der
Petition
Der Bundestag möge beschließen, eine umfassende Geburtshilfereform vorzunehmen, welche Frauen,
ihre (ungeborenen) Kinder, ihre Partner*innen sowie geburtshilfliches Personal vor physischer, psychischer und struktureller Gewalt in der Geburtshilfe schützt; er möge dafür eine flächendeckende
respektvolle Versorgung sicherstellen und die WHO-Empfehlungen zur „Vermeidung und Beseitigung von Geringschätzung und Misshandlung bei Geburten in geburtshilflichen Einrichtungen“
umsetzen.
Nötige Gesetzesänderungen sind vorzunehmen.
Begründung
Die Weltgesundheitsorganisation mahnt 2014 vor missbräuchlicher und vernachlässigender
Behandlung in geburtshilflichen Einrichtungen weltweit und empfiehlt ein umfassendes Maßnahmenpaket, um Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe zu stoppen. Auch in Deutschland werden im
Kontext von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett täglich Menschen- und Patientenrechte verletzt und professionelle Versorgungsstandards nicht flächendeckend eingehalten. Fachleute und
Aktivist*innen gehen - je nach Definition der Gewalt - von ca. 10% bis 50% Betroffenen aus (vgl. Dlf 2017).
Trotzdem fehlen effektive Präventionsprogramme, Gegenmaßnahmen, Forschungsunterstützung und
Hilfsangebote. Es ist ein gravierendes, jahrzehntelang tabuisiertes und vernachlässigtes Problem.
Im Kern geht es um: Unterversorgung (z.B. Verweigerung der Aufnahme sowie Vernachlässigung unter
der Geburt/im Wochenbett), gewaltsame und z.T. stark veraltete Praktiken, die trotz fehlender Evidenz angewendet werden, Überversorgung (zu viele unnötige Untersuchungen/Interventionen),
aufgezwungene oder ohne umfängliche Aufklärung und Einwilligung vorgenommene medizinische Eingriffe (wie Dammschnitt, Kaiserschnitt), verbale Missachtung und Beleidigung, tiefe Demütigung,
Diskriminierung, grobe Verletzung der Intimsphäre oder sexuellen Missbrauch, Missachtung der Schweigepflicht oder Verweigerung der Schmerzbehandlung (vgl. u.a. WHO
2014, S.1).
Die bisherigen Lösungsansätze der Bundesregierung im gesamten Sektor der Geburtshilfe sind nicht
ausreichend. So hat sich die Versorgungssituation in städtischen und ländlichen Gebieten sogar weiter verschlechtert. Während die Geburtenrate pro Frau in den letzten Jahren von 1,3 auf 1,5 Kinder
stieg, ist die Anzahl der Geburtskliniken stetig zurückgegangen - von 950 (2004) auf unter 690 (2017), so sank auch die Zahl der Beleghebammen zwischen 2012 und 2016 von 1.996 auf 1.776 (Ärzteblatt,
StBA 2018). Bei einer Umfrage der DGGG 2018 gab ein Drittel der Kliniken an, Schwangere unter der Geburt im letzten Halbjahr 2017 mindestens einmal abgewiesen zu haben.
Diese Situation ist nicht mehr länger zu akzeptieren.
Familien, Mütter und Kinder zu schützen, ist im Grundgesetz verankert (GG, Art. 6, Abs. 1 &
4, Art. 1, Abs. 1). Ihnen muss flächendeckend respektvolle Geburtshilfe ermöglicht und den Versorgungsträgern sowie dem medizinischen Personal (Hebammen, Ärzt*innen u.a.) die dafür nötigen
Voraussetzungen und (Arbeits-)Bedingungen gegeben werden.
Die Umsetzung der WHO-Empfehlungen mit fünf Maßnahmenpunkten ist zudem spätestens mit der
Ratifizierung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen unumgänglich und muss sofort veranlasst werden. Zusätzlich bieten Organisationen und Vereine wie die IMBCO, die WRA, der
AKF u.a. bereits seit Jahren Konzepte für frauen- und familiengerechte Geburtshilfe.
Die Bundesregierung muss diese in einer umfassenden Reform umsetzen und nötige
Gesetzesänderungen, z.B. ein Recht auf respektvolle Geburtshilfe, vornehmen.
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Ergänzungen
Da das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
und häuslicher Gewalt“ (die sog. Istanbul-Konvention) „Anwendung auf alle Formen von Gewalt gegen Frauen“ findet (Council of Europe, 2011, S.5), verpflichtet sich Deutschland mit der Ratifizierung
zum 1.2.2018, die - v.a. Frauen betreffende - Gewalt in der Geburtshilfe zu bekämpfen.
Das WHO-Maßnahmenpaket von 2014 ist dafür unumgänglich
und besagt Folgendes:
- Weitreichendere Unterstützung von Regierungen und Entwicklungspartnern in der Forschung und bei Maßnahmen gegen Geringschätzung und Misshandlung.
- Initiierung, Unterstützung und Unterhaltung von Programmen für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung für Mütter. Ein besonderer Schwerpunkt muss die
wertschätzende Versorgung als wesentliche Komponente einer qualitativ hochwertigen Versorgung sein.
- Hervorhebung des Rechts von Frauen auf eine würdevolle, wertschätzende Gesundheitsvorsorge für die gesamte Schwangerschaft und Geburt.
- Datenerhebung zu wertschätzenden und gering schätzenden Versorgungspraktiken, Haftungssystemen und sinnvoller professioneller Unterstützung ist
erforderlich.
- Einbeziehung aller Beteiligten, einschließlich der Frauen, in die Bemühungen, die Qualität der Versorgung zu verbessern und gering schätzende und missbräuchliche
Praktiken zu unterbinden. (WHO, 2014 S. 2&3)
Council of Europe (11.05.2011): Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt [sogenannte Istanbul-Konvention] https://rm.coe.int/1680462535 letzter Zugriff:
28.1.2018.
Council of Europe (12.10.2017) „Germany ratifies the Istanbul
Convention (Action against violence against women and domestic
violence)”, Pressemitteilung.
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG, 2018): Neujahrsgespräch:
Sicherstellung der klinischen geburtshilflichen Versorgung in Deutschland (23.01.2018) https://idw-online.de/de/attachmentdata64397.pdf
Kuck, Marie von (2017): Radio-Feature: Gewalt in der Geburtshilfe - Weinen hilft Dir jetzt auch
nicht. WDR, Deutschlandfunk (Dlf).
Mundlos, Christina (2015): Gewalt unter der Geburt. Der skandalöse Alltag. Marburg,
Tectum-Verlag.
Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2014): Vermeidung und Beseitigung von Geringschätzung und
Misshandlung bei Geburten in geburtshilflichen Einrichtungen. http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/134588/22/WHO_RHR_14.23_ger.pdf?ua=1 letzter Zugriff: 28.1.2018.