2018, 2017 und 2016 gab es einen echten Babyboom in der Hansestadt: 25.576 Kinder wurden im letzten Jahr geboren, was im Schnitt ca. 6% mehr sind als beispielsweise 2015 und 2014. Trotzdem wurde 2017 die hebammengeleitete Geburtenstation im AKH (Harburg) geschlossen und das einzige geburtshillfliche Krankenhaus südlich der Elbe, die Mariahilf-Klinik dadurch zentralisiert und extrem überlastet. Die Chefärztin und mehrere Oberärtze kündigten im Dezember 2018. Wegen Personalmangel kam es im Januar 2019 zu temporären Schließungen (HHer Abendblatt, Focus, Stern und Zeit berichteten). Die Umstände des Todesfalls einer Mutter müssen - so fordert auch Elternverein Mother Hood e.V. lückenlos aufgeklärt werden (vgl. Pressemitteilung 11.2.2019).
Im Marienkrankenhaus kam es zu einem Todesfall (Kind stirbt noch im Mutterleib), obwohl die Mutter mit Kind bereits im Kreißsaal war, jedoch war kein Personal anwesend, um die Notsituation rechtzeitig zu erkennen und Mutter und Baby angemessen zu betreuen (Abendblatt 25.09.2019). Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch in diesem Fall.
Doch das Problem der prekären geburtshilflichen Situation ist nicht neu. Insgesamt können auf den Geburten- und Wochenbettstationen "viele Mütter und Babys [...] nicht fachgerecht versorgt werden", Hebammen "arbeiten in den Krankenhäusern teilweise unter katastrophalen Bedingungen" (die Zeit berichtete). Der Hebammenverband Hamburg schlägt Alarm! Insbesondere kritisieren die beiden Vorsitzenden Andrea Sturm und Susanne Lohmann, "dass in vielen Hamburger Kliniken an erster Stelle die Gewinnmaximierung und nicht die gebärende Frau und ihr Kind stehe, geschweige denn die Arbeitssituation der Hebammen." Am 01.02.2016 betont der Hebammenverband erneut: "Arbeitsbedingungen in deutschen Kreißsälen gefährden Qualität bei Betreuung von Geburten" (DHV und spiegel online berichten). Leider regaiert die Politik viel zu zögerlich auf diese Warnungen. Auch die Betreuung mit Hebammenhilfe variiert in den Stadtteilen stark. Allererste Lösugsansätze des Senats, Sprechstunden einzurichten, sind allerdings aus Hebammen- und Elternsicht nicht ausreichend (Hamburg Journal, NDR-Beitrag Mai 2017). Ein Lichtblick ist die 2020 eingerichtete Fachkommission "Gesunde Geburt in Hamburg", die am 28.1.2020 das erste Mal tagte. Wichtig wird sein, dass auch investiert wird und konkrete Verbesserungsmaßnahmen ergriffen werden und es sich nicht nur um ein Lippenbekenntnis kurz vor der Bürgerschaftswahl handelt. Erst fast ein Jahr später auf Nachfrage der Bundeselterninitiative Mother Hood e.V. und der ZEIT folgt im Dezember 2020 eine Einladung zu einem ersten Online-Treffen nach der Auftaktveranstaltung.
Besorgniserregend ist die immer noch hohe OP-Rate: 31,4% aller aller Babys wurden 2016 per Kaiserschnitt geboren (bei den Versichterten der KKH, 04/2017 waren es sogar 39%). Die Hamburger Kaiserschnittrate war 2014 mit 34% und 2015 mit 36,9% sogar höher als der Bundesdurchschnitt, diese variiert jedoch zwischen den Kliniken sehr stark. Die niedrigen Raten (20-25%) z.B. des Amalie Sievenking-Klinik oder des Universitätsklinikum Hamburg (Level 1-Klinik mit vielen Risikopatientinnen) beweisen, dass die 'offizielle' Begründung "Kliniktourismus" aus umliegenden Bundesländern oder eine gestiegene Nachfrage nach Kaiserschnitten falsch sind. Viele Kaiserschnitte sind insgesamt ökonomisch, sturkturell oder organisatorisch bedingt. Die MoPo nennt im April 2017 als Begründung für die hohe Kaiserschnittrate wörtlich "Personalengpässe"! Die Situation ist prekär - vgl. Brandbrief von Celsy Dehnert!
Gerechte Geburt wünscht sich unbedingt den Austausch mit Politikerinnen und Politikern aus Hamburg, um an einem Bündnis für gerechte Geburtshilfe zu arbeiten und die Situation nachhaltig zu verbessern.
Artikel:
"Lücken bei der Betreuung von Schwangeren" - Ärztezeitung, 18.02.2016. (Gesundheitsbehörde - Bericht „Hebammenversorgung in Hamburg“)
"Und wie ist das mit dem Sex nach der Geburt" - Prof. Volker Ragosch im Interview, Hamburger Abendblatt 06.02.2016. Kommentar von gerechte Geburt.
Wie es in Sachen Unterversorgung mit Hebammenhilfe aussieht, ist auf der Landkarte der Unterversorgung des DHV zu entnehmen. Zurzeit sind allein in Hamburg ca. 500 Unterversorgungsfälle in Vor- und Nachsorge sowie Geburtsbegleitung gemeldet. Die Dunkelziffer ist weit höher. Zuverlässige Daten liegen trotz diverser Anfragen und Forderungen des Hamburger Hebammenverbandes immer noch nicht vor. Laut Gesundheitsbehörde heißt es zwar, dass vor der Geburt ca. ein Drittel aller Hamburger Mütter Hebammenhilfe in Anspruch nimmt und ca. die Hälfte das Nachsorgeangebot nutzt, aber wie viele der nicht nicht-betreuten Frauen eigentlich eine Betreuung gewünscht hatten, geht aus der Studie leider nicht hervor. (Bericht 12.02.2016 zum Download) Senatorin der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz Prüfer-Storks sagt im Bericht: "Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam die Hebammenversorgung in Hamburg in konstruktiver Zusammenarbeit, wie etwa im Pakt für Prävention, weiter verbessern und regional ausgewogener gestalten können.“ Dafür benötigt sie zunächst zuverlässigere Daten (die aktuelle Studie (Feb. 2016) ist nicht repräsentativ. Allerdings muss hervorgehoben werden, dass die Einschätzung der Hebammen lautet: "Die Wochenbettbetreuung kann in manchen Bezirken Hamburgs nicht ausreichend angeboten werden. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Hebammenbetreuung muss anders organisiert werden.“ (Hebammenbericht, 2016, S.24) Darum bleibt am Ende fraglich, wie Frau Prüfer-Storcks die optimistischen Pläne konkret umsetzen will. Der weitere Ausbau des Konzepts von Familienhebammen ist eine gute Idee, wenn es aber insgesamt zu wenig Hebammenbetreuungsplätze gibt und Frauen sich bereits in der 6. SSW um eine Hebamme kümmern müssen und danach Absagen erhalten (S.26), dann ändert auch eine Angebotsvariation nichts an der Unterversorgung.
Ferner zeigte der Hamburger Krankenhausspiegel für die letzte Auswertung (2012) beispielsweise schlechte Ergebnisse für das Qualitätsmerkmal: "Verletzungen bei der Mutter":
"Ein schwerer Dammriss mit Verletzung des äußeren Schließmuskels oder zusätzlicher Verletzung des Enddarms ist eine gefürchtete Komplikation während der Geburt. Die durchschnittliche tatsächliche Rate an Müttern mit schweren Dammrissen lag in Hamburg mit 1,51 Prozent über der erwarteten Durchschnittsrate (1,44 Prozent) und auch über dem Bundesdurchschnitt (tatsächliche Rate: 1,32 Prozent)." (Hamburger Krankenhausspielge 2012)
Insgesamt müsste an den Qualitätsmerkmalen für: "Was ist gute Geburtshilfe" gearbeitet werden, eine der Kernforderungen von Gerechte Geburt.
Ziel muss es außerdem sein, ein "Hamburger Bündnis für gesunde Geburt" - vergleichbar mit dem "Bremer Bündnis zur Unterstützung der natürlichen Geburt" aufzubauen. Ein erstes Planungstreffen fand diesbezüglich am 09.Juni 2015 statt. Wer mitgestalten möchte, findet dazu mehr dazu unter Projekte.
In den Hintergrundinformationen des Hamburger Hebammenverbands wird deutlich, dass bereits 2009 und 2011 zuverlässige Daten zur Unterversorgung mit Hebammenhilfe gefordert wurden. So gab es 2009 ebenfalls die Kleine Anfrage der Linken: "Was macht der Hamburger Senat gegen die Unterversorgung" - sowie 2014 die folgende: "Situation von Hebammen – [...] Was macht Hamburg?"
Auch die SPD stellte eine Große Anfrage an den Senat: "Arbeitssituation der Hebammen in der Freien und Hansestadt Hamburg" mit teilweise erschreckenden Ergebnissen: Wegen Überfüllung werden Kreißsäle manchmal für Stunden gesperrt (z.B. Asklepios Altona 2008 für 780 Stunden, Quelle: Antwort des Senats auf Drucksache 19/2680, April 2009, S.9). Entsprechende Lösungsansätze und Handlungsschritte blieben jedoch aus.
Am 15.Januar 2015 äußerte sich Olaf Scholz (Bürgermeister, SPD) im Gespräch mit Gerechte Geburt so:
"Wir haben viel für die außerklinische Geburtshilfe getan und sind in Sachen Haftpflichtproblematik auf einem guten Weg." [Was das genau bedeutet, bleibt fraglich.] Weiter glaube er nicht, dass die Kliniken Fehler machen würden. Der Ruf Hamburger Krankenhäuser sei sehr gut. (Antwort auf die Frage bezüglich der deutlich erhöhten Kaiserschnittrate: 34% in Hamburg, Bundesschnitt: 31,8% - Empfehlung der WHO: 10-15% und auf den Hinweis, dass täglich physische und psychische Gewalt in der Geburtshilfe stattfindet, die von verbaler Gewalt, Respektlosigkeit bis hin zu Körperverletzung reicht.) Er gab das Angebot, die Frage nochmals schriftlich zu beantworten.
Am 21.01.2015 erhielt Gerechte Geburt Antwort vom Büro des Ersten Bürgermeisters, dass die Anfrage "an das Büro des zuständigen Präses der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz - Frau Cornelia Prüfer-Storcks - weitergeleitet wird" und dass das Bürgermeisterbüro sich über den Verlauf der Angelegenheit informieren lassen werde.
Am 12.11.2014 erhielt Gerechte Geburt schon einmal Antwort der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (Freie und Hansestadt Hamburg).
Hier wurden Aussagen getroffen wie:
Hier wird noch einmal nachgehakt werden müssen! Es ist nicht die Privatangelegenheit von Frauen und Familien, wenn Sie in Hamburger Krankenhäusern unterversorgt werden. Es ist ein systemisches und strukturelles Problem, das konsequent politisch angegangen werden muss. Es bedarf dringend eines Schutzes der Frauen und Familien vor Rechtsverletzungen im Bereich der Geburtshilfe.
Erneute Anfrage mit einem umfassenden Fragenkatalog (Feb. 2015) ergab:
"Bitte haben Sie Verständnis, dass ich nicht auf alle Ihre Anmerkungen und Fragen eingehen kann. Auf eine Reihe von Aspekten sind wir ja bereits in unserer Antwort auf Ihr Schreiben vom November 2014 eingegangen. [...]
Der höhere Anteil von Kaiserschnitten ist auch Sicht der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz darauf zurückzuführen, dass es in Hamburg fünf Perinatalzentren der höchsten Versorgungsstufe (Level 1), zwei Perinatalzentren Level 2 sowie zwei [p]erinatle Scherpunkte gibt. In diesen Zentren werden Risikoschwangerschaften und Risikogeburten [betreut], die Zentren verfügen über eine entsprechende Ausstattung mit neonatologischen Intensivbehandlungs- und -überwachungseinheiten. Vor diesem Hintergrund gibt es dort gibt es dort entsprechend überproportional viele frühgeborene Kinder und Mehrlingsgeburten. Viele Schwangere mit Risikoschwangerschaften aus dem Umland kommen zur Entbindung in diese Zentren. [...]"
Aus Expertensicht ist dieser Erklärungsversuch nicht nachzuvollziehen. (vgl. Aussagen von Chefarzt Wolf Lütjen in "Die Risiken der unnötigen Kaiseschnitte" - Die Welt und in der Mopo, Jan. 2015). Beispielsweise haben die Level-1-Zentren sehr unterschiedliche Kaiserschnittraten. Wie erklären sich diese Abweichungen?
Zur Hebammenunterversorgung, Haftpflichtproblematik usw. wurde sich bisher gar nicht geäußert, telefonische Anfrage März 2015 ergab: Man wolle sich melden.
Wir warten weiter auf Daten und auf Antworten. Denn auf so wichtige Fragen wie "Welche Hinweise hat der Senat auf die Anzahl vorliegender Überlastungsanzeigen von in den Kliniken angestellten Hebammen?" (Drucksache 19/2680, S.9) heißt es nur: "Die zur Beantwortung benötigten Daten liegen der zuständigen Behörde nicht vor." Oder auch bei der Anfrage der FDP "Hebammen in Hamburg" (2014) bleiben Fragen wie "Wie viele [Hebammen] betreuten Hausgeburten einschließlich Geburtshäusern etc.?" unbefriedigend beantwortet. Dem Senat ist außer der Anzahl der beschäftigten Hebammen im Geburtshaus (15) nicht bekannt, wie viele Hebammen in Hamburg überhaupt noch Hausgeburtshilfe praktizieren (vgl. Drucksache 20/11099, 2014, S.1-2). Weiter heißt es: "Der Senat sieht mit Sorge, dass die steigenden Haftpflichtprämien die wirtschaftliche Situation der freiberuflichen Hebammen erschweren, mit der Folge, dass sich für Frauen nachteilige Auswirkungen hinsichtlich der freien Wahl des Geburtsortes im außerklinischen Bereich ergeben können. Die zuständige Behörde wird zunächst die Ergebnisse der Befassung der auf Bundesebene eingesetzten interministeriellen Arbeitsgruppe abwarten und auf dieser Grundlage gegebenenfalls konkrete Schritte zur Lösung des Problems initiieren" (ebd.).
ABER: Abwarten ist hier nicht die richtige Strategie. Das Recht auf die freie Wahl des Geburtsortes ist seit Jahren bereits beschnitten! Auch in einer anderen Kleinen Anfrage (SPD 2014) lautet die Antwort: "Der Senat sieht mit Sorge, dass unter den genannten Bedingungen die freie Wahl des Geburtsortes im außerklinischen Bereich de facto für Frauen nicht mehr bestehen würde."
Gespräche mit Bundestagsabgeordneten von Gerechte Geburt:
Stellungnahmen
Grüne Jugend Hamburg: "Die freie Wahl der Geburt muss gewährleistet bleiben – Geburtshilfe durch Hebammen sicher stellen!" (2.4.14)
Weitere Quellen
Aktuell
Vergangenes:
Infos für Schwangere in Hamburg
Infos zur Verarbeitung von schweren Geburten (z.T. regional)