Initiative für eine gerechte Geburtshilfe in Deutschland - Information, Austausch, Diskussion.
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Wichtige Petition: Warum Gewaltschutz im Familienrecht auch die Geburtshilfe betrifft

20.06.2025 Mascha Grieschat

 

Die aktuelle Petition „Gewaltschutz im Familiengericht JETZT“ der Soziologin Christina Mundlos fordert tiefgreifende Reformen im Familienrecht, um Mütter und Kinder wirksam vor gewalttätigen Vätern zu schützen. Die Initiative für gerechte Geburtshilfe unterstützt diese Forderungen ausdrücklich und gehört zu den Erstunterzeichner*innen.

 

Was auf den ersten Blick nach einem rein juristischen Thema aussieht, betrifft in Wirklichkeit zutiefst auch die Geburtshilfe – denn der Schutz vor Gewalt beginnt weit vor einem Urteil im Gerichtssaal.

Screenshot change.org - Gewaltschutz im Familiengericht Jetzt

Komplexität und Unvorstellbarkeit

Trennung, Familienrecht, Gewalt und Geburtshilfe sind für sich allein bereits komplexe, höchst individuelle Themenfelder. Treffen sie zusammen, potenzieren sich Belastungen, Dynamiken und Risiken – mit oft dramatischen Folgen für Mütter und Kinder. Sie sind oftmals die Leidtragenden häuslicher oder institutioneller Gewalt. Dieser Text beleuchtet, wie Schwangere und Mütter von (institutioneller) Gewalt, auch an Familiengerichten betroffen sind, wo sie Hilfe finden und welche Rolle geburtshilfliche Fachpersonen in ihrem Schutz übernehmen können.

 

Ein zentraler Punkt vorab: Das Ausmaß systematischer Willkür und Gewalt, ausgeübt durch Richterinnen, Gutachterinnen, Anwält*innen und andere Beteiligte, ist für Außenstehende kaum vorstellbar – ebenso wie die Existenz von physischer und psychischer Gewalt in der Geburtshilfe. Dennoch ist beides real und missachtet internationale Menschenrechtsstandards sowie die Istanbul-Konvention.

Müttern werden fiktive Diagnosen zugeschrieben, Kinder gewalttätigen oder übergriffigen Vätern überlassen. Wer solche Ungerechtigkeiten nicht selbst erlebt oder bezeugt hat, hält sie oft für unvorstellbar – doch sie gehören zum Alltag deutscher Familiengerichte. Das muss ein Ende haben!

 

Die Konsequenzen für Betroffene sind gravierend – insbesondere in der vulnerablen Lebensphase rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett.

 

Darum mein eindringlicher Appell: Mütter, Väter – und alle Fachpersonen der Geburtshilfe: Zeigt euch solidarisch, lasst uns gemeinsam für Gewaltfreiheit an Familiengerichten eintreten!

 

Schwangerschaft: Eine Hochrisikophase für Gewalt

Nicht selten beginnt Gewalt durch den Beziehungspartner mit der Schwangerschaft oder der Geburt des Kindes (Müller/Schröttle 2004 - siehe unten). Das gefährdet nicht nur die Gesundheit der Mutter, sondern auch die Entwicklung des ungeborenen Kindes. Ob in gynäkologische Praxen, bei der Hebamme, bei der Hausärztin und teils in geburtshilflichen Einrichtungen,  hier offenbaren sich die häusliche oder sexuelle Gewalt oft erstmals – sei es durch medizinische Befunde oder vertrauensvolle Gespräche mit der Betroffenen.

 

Wenn Familiengerichte jedoch Umgang für gewalttätige Täter mit dem Neugeborenen bzw. Geschwisterkindern gewähren oder gar anordnen, ohne die Gefährdungslage sorgfältig zu prüfen, unterläuft das jeden präventiven Schutz – und konterkariert die Arbeit des eigentlichen Schutzsystems der beteiligten Fachkräfte.

 

Geburtshilfe als Bestandteil von Gewaltschutz

Gewaltbetroffene Frauen benötigen in dieser gesamten Phase, von der Vorsorge während der Schwangerschaft über die Geburt bis zur Nachsorge im Wochenbett und darüber hinaus in der Stillzeit, verlässliche, sichere und traumasensible Strukturen

 

Geburtshilfe umfasst als Bestandteil eines funktionierenden Gewaltschutzes daher als kontinuierlicher Begleitprozess in einer hochverletzlichen Lebensphase bspw. folgende Aspekte:

  • Vertrauliche Vorsorgegespräche, in denen häusliche oder sexualisierte Gewalt erkannt und angesprochen werden kann
  • Traumasensible Geburtsplanung, z. B. bei vorheriger Gewalt oder sexuellen Übergriffen
  • Stillfreundliche Nachsorge, die nicht durch gerichtliche Anordnungen gefährdet wird
  • Hebammen als Vertrauenspersonen, die erste Hinweise auf Gewalt wahrnehmen
  • Interdisziplinäre Netzwerke zwischen Geburtshilfe, Beratung und Rechtsschutz

Geburtshilfe ist ein Schutzsystem, das durch familiengerichtliche Entscheidungen nicht untergraben werden darf!

 

Gerichtliche Termine, Anwaltsschreiben, (Zwangs-)Begutachtungen, sind in dieser sensiblen Phase ohnehin eine extreme Belastung. Hier sollte - wann immer möglich - terminlicher Aufschub gewährleistet werden.

 

Stillen ist Schutz – keine verhandelbare Option

Teilweise werden Mütter sogar gerichtlich massiv dazu gedrängt, abzustillen, um längere Umgangszeiten mit dem Vater zu ermöglichen – selbst wenn dieser Gewalt ausgeübt hat. Solche Beeinflussungen oder gar Anordnungen greifen nicht nur in individuelle Gesundheitsentscheidungen ein, sondern gefährden auch Bindung und Sicherheit in erwähnter hochsensiblen Lebensphase. Die Petition von Christina Mundlos fordert daher eindeutig und richtig: Stillen vor Umgangsrecht. Es müssen bei geteiltem Umgangsrecht flexible Wege gefunden werden, welche die Stillbeziehung von Mutter und Kind nicht gefährden.

 

Wiederholende Muster und Dynamik von Trauma nach Gewalt in der Geburtshilfe

In der Arbeit mit Müttern, die durch gewaltvolle Erfahrungen in der Geburtshilfe traumatisiert wurden, zeigen sich immer wieder gleiche Muster.

Nicht selten zerbrechen die Beziehungen und schließlich die Ehen daran. Landen die Eltern nun vor dem Familiengericht, werden psychologische Diagnosen (Folgen der traumatischen Geburt) wie Depressionen, PTBS der Mutter negativ ausgelegt. Sie muss, selbst wenn sie vorher schon lange alleinerziehend war, plötzlich um das Sorgerecht bangen. Allein die Bedrohungslage birgt hohes Potenzial für massive Retraumatisierung. 

 

Funktionierendes Schutz-Netz und verlässliche Traumakompetenz in vulnerabler Lebensphase

Die Petition fordert verpflichtende psychosoziale Prozessbegleitung in familiengerichtlichen Verfahren – ein Anliegen, das auch die geburtshilfliche Versorgung betrifft und was als besonders wichtig einzustufen ist. Frauen mit Gewalterfahrung benötigen traumasensible Betreuung: in der Vorsorge, bei der Geburtsplanung, im Kreißsaal und in der Nachsorge.

Gleichzeitig gilt: Gerichtliche Familienrechtsverfahren werden nicht ausgesetzt, sobald eine Mutter erneut schwanger wird. Im Gegenteil - nicht selten eskaliert ein ohnehin bestehender Trennungsstreit, wenn bspw. der Expartner von einer Schwangerschaft mit dem neuen Partner erfährt. Hier braucht es verlässlichen Schutz für Mutter und Ungeborenes.

 

Was die Geburtshilfe jetzt tun kann:

Abgesehen von den üblichen Möglichkeiten:

  • Gewaltindikatoren erkennen, dokumentieren und benennen
  • Vertrauensvolle Anlaufstelle für Betroffene sein
  • Interdisziplinäre Netzwerke mit Beratung, Rechtshilfe und Schutzstrukturen aufbauen
  • In familiengerichtlichen Verfahren für Schutzklauseln eintreten

vgl. Flyer „Ablaufplan häusliche Gewalt“ Hebammenverband Berlin

 

Darüberhinaus braucht es die Umsetzung der in der Petition geforderten Maßnahmen, um die Strukturen im Familienrecht zu reformieren und interdisziplinären Gewaltschutz für Mütter und Kinder wirklich umzusetzen. 

 

Was jede/r tun kann:

  • Die Petition unterschreiben, unterstützen/spenden und weiterverbreiten:  www.change.org/GewaltschutzFamiliengericht
  • z.B. bei Facebook, Instagram, TikTok, via E-Mail, WhatsApp etc. oder "klassisch", ein Poster in der KiTa, im Supermarkt, in der Gemeinde, Uni oder sonst wo aufhängen, wo Menschen es sehen, die auch unterschreiben wollen.
Gewaltschutz im Familiengericht JETZT POSTER/FLYER POSTER/FLYER 1
Poster/Flyer 1 - Gewaltschutz im Familiengericht - JETZT
Ausdrucken und verteilen - Wir brauchen jede Unterschrift für einen Wandel im Familienrechtswesen für echten Gewaltschutz. PETITION zeichnen!
Gewaltschutz im Familiengericht JETZT - [...]
PDF-Dokument [232.3 KB]
Poster mit Abrisszetteln - Petition - Gewaltschutz im Familiengericht - JETZT
Ausdrucken und aufhängen/verteilen - Wir brauchen jede Unterschrift für einen Wandel im Familienrechtswesen für echten Gewaltschutz!
Poster mit Abreißzettel 2 - Gewaltschutz[...]
PDF-Dokument [241.3 KB]

Poster mit Abrisszettel zur Petition "Gewaltschutz im Familiengericht - JETZT", Download PDF-Datei siehe oben

Geburtshilfe und Familienrecht - wie hängt das zusammen?
Hebammen, Frauenärztinnen, Frauenärzte oder andere Menschen, die im Kontext Geburtshilfe arbeiten, haben oft Kontakt zu Frauen, die häusliche oder sexuelle Gewalt erleben. Hier einige Zusammenhänge zwischen Familienrecht und Geburtshilfe mit praktischen Links
Info Plakat Gerechte Geburt Familienrech[...]
PDF-Dokument [149.1 KB]

Für Interviews steht Christina Mundlos zur Verfügung. Bei zusätzlichen Fragen zu Zusammenhängen Geburtshilfe/Familienrecht wenden Sie sich gern über das Kontaktformular an mich.

Grieschat unterstützt die Petition von Christina Mundlos: "Gerechte Geburtshilfe auch im Kontext Familienrechtsstreit!"

Abschließender Kommentar Grieschat:

"Über Jahre hinweg habe ich in meiner Arbeit mit Betroffenen von Gewalt im Kontext von Geburtshilfe immer ähnliche Muster beobachten müssen: Mutter wird durch Gewalt unter der Geburt traumatisiert, die Beziehung zum Vater leidet, zerbricht... und wenn es böse ausgeht und vor dem Familiengericht landet, wird schließlich der Mutter bspw. eine durch die traumatische Geburt entstandene Diagnose (PTBS/Depression..) negativ ausgelegt. Wegen der Geburt hätten sie eine schlechtere Bindung zum Kind als der Vater etc. Allein das Bangen um das Sorgerecht oder Aufenthaltsbestimmungsrecht ist für die Betroffenen ein Ritt durch die Hölle. Dafür muss es noch nicht einmal am Ende wirklich dazu kommen. "Nur" die Retraumasierung allein ist bereits schlimm. Betroffene leiden Jahre.


Umgekehrt suchen sich traumatisierte Mütter/Väter keine Hilfe, aus Angst vor Stigmatisierung bei psychischen Diagnosen....

 

Die Petition ist eigentlich sooo überfällig.

 

Es braucht eine komplette Reformierung, denn Ungerechtigkeit gibt es sowohl gegen Mütter, wie auch gegen Väter. Doch das oberste Gebot ist Gewaltschutz und ein klarer Blick auf die Kinder. Und die Betroffenen sind hier in über 90% Mütter und Kinder.

 

Großer Dank an Christina, diese auf den Weg zu bringen. Die Forderungen sind auf den Punkt! Sie müssen Gehör finden. Es ist mit normalem Menschenverstand nicht nachzuvollziehen, wie es zu solchem institutionellen Unrecht, einer Spirale von in der Regel straffreier Gewalt, kommen kann. All das trotz Istanbul-Konvention..."

Hintergrundmaterial/Wissenschaftliche Quellen:

  1. BMFSFJ-Studie zur Gewalt gegen Frauen (2004 & 2020):  Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erlebt jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt durch einen aktuellen oder früheren Partner. Gewalt tritt häufig erstmals in der Schwangerschaft auf. → BMFSFJ: Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen (https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/gewalt-gegen-frauen-in-paarbeziehungen-80614)
  2. Im Springer-Fachkapitel: „Häusliche Gewalt im Kontext von Schwangerschaft und Geburt“ (IN: Handbuch Kinder und häusliche Gewalt, 2007 https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90550-1_6) beschreiben Hellbernd und Brzank (2020), dass häusliche Gewalt während der Schwangerschaft häufig beginnt oder eskaliert. Sie wirkt sich direkt (z. B. durch Verletzungen, Frühgeburten) und indirekt (z. B. durch Angst, Vermeidungsverhalten) auf Mutter und Kind aus.
    • „Gewalt durch den Beziehungspartner beginnt nicht selten mit einer Schwangerschaft oder Geburt. In der für Deutschland ersten repräsentativen Studie […] zum Ausmaß von Gewalt gegen Frauen wurde eine Schwangerschaft von 10% und die Geburt des Kindes von 20 % der betroffenen Frauen als lebenszeitliches Ereignis angegeben, bei dem Gewalt durch den Partner zum ersten Mal auftrat“ (ebd., zitiert nach Müller/Schröttle 2004)
  3. Berliner Hebammenverband: Arbeitshilfe zu häuslicher Gewalt. Diese praxisnahe Broschüre für Hebammen und Gynäkolog*innen bei der Erkennung und Ansprache von Gewalt in Schwangerschaft und Wochenbett. → Berliner Hebammenverband: Arbeitshilfe für Fachkräfte „Ablaufplan häusliche Gewalt“ https://berliner-hebammenverband.de/download/ablaufplanhauslichegewalt_final.pdf (05.10.2022)
  4. Studie „Familienrecht in Deutschland – eine Bestandsaufnahme “ von Dr. Wolfgang Hammer (2022) Zeigt, dass 63 % aller familiengerichtlichen Verfahren von Gewalt betroffen sind – ein alarmierender Befund, der die Relevanz der Petition unterstreicht. → https://www.familienrecht-in-deutschland.de/die-studie/
  5. UN-Sonderberichterstatterin Reem Alsalem (2023) Kritisiert, dass Deutschland Kinder trotz dokumentierter Gewalt zum Umgang mit dem Täter zwingt – auch gegen ihren Willen. → https://documents.un.org/doc/undoc/gen/g23/070/18/pdf/g2307018.pdf (ebenfalls in der Petition zitiert)

Mascha Grieschat, 19.06.2025, Ergänzungen (Flyer, Kommentar) 23.06.25, Stand: 26.6.25

Stand: 15.07.2025

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