Initiative für eine gerechte Geburtshilfe in Deutschland - Information, Austausch, Diskussion.
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Auch das ist Gewalt: Einleitung mit nebenwirkungsreichen Medikamenten: Cytotec - Off-Label-Use ohne ausreichende Aufklärung

In Frankreich wurde das Magenmedikament Cytotec, welches im Off-Label-Use häufig als Geburtseinleitungsmittel verwendet wird, bereits zum 01. März 2019 aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen verboten (Apotheke ad hoc 2019). Zuvor hatte die Firma Pfizer das Prostaglandin Cytotec® (Misoprostol) im Januar 2006 vom deutschen Markt genommen (Misoprostol 2019). Dennoch wird es in vielen dt. Kliniken - trotz zahlreicher Alternativen -  zur Einleitung verwendet und aus dem Ausland importiert. Einer der mutmaßlichen Gründe: Die Kosten pro Tablette belaufen sich auf lediglich ca. einen Euro (Tageschau, 2020). Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe spricht in einer Stellungnahme hingegen von unstrittiger Evidenz, wenigen Nebenwirkungen und guter Studienlage (DGGG, 2020).

 

Problematisch sind in erster Linie Anwendungs- und Aufklärungsfehler bei der Gabe, nicht das Medikament und der Off-Labe-Use als solcher. So ergab ein Studienvergleich zur Gabe und Dosierung des Wirkstoffs Misoprostol an deutschen Kliniken 2013: "Keine der Kliniken hält sich an das von der DGGG vorgegebene Schema: 25 µg vaginal alle 4 – 6h; (AWMF 015/031 (S1), 2010)" (Goecke et al. 2013).

 

Das größte Problem bei der Anwendung von Cytotec (wie in vielen Bereichen der Geburtshilfe) ist die erwähnte unvollständige Aufklärung. So beinhalten die Einwilligungserklärungen zur Gabe von Cytotec oftmals keine ausreichende Aufklärung über die zahlreichen z.T. gravierenden Risiken von Cytotec oder das Geburtserleben unter künstlichen Wehen, wie am Beispiel dieser Uni-Klinik deutlich wird: Patientenaufklärung: Geburtseinleitung mit Misoprostol (Cytotec®) [leider nicht mehr online verfügbar]. In den Aufklärungsbögen geht es meist mehr um das Erklären des Begriffes "Off-Label-Use", der an und für sich nicht das Problem wäre, wenn dafür nicht Nebenwirkungen verschwiegen und bzw. in Kauf genommen würden. Besonders schlimm: Diverse Fälle von Überdosierungen oder z.T. tödlichen Nebenwirkungen bei Mutter und Kind werden nicht zentral gemeldet. (Was die DGGG allerdings in ihrer Stellungnahme (siehe unten) dementiert, zahlreiche Schilderungen Betroffener im Zuge der Berichterstattung zu Cytotec allerdings klar bestätigen.) Haftungsfragen erschweren die Situation grundsätzlich und das Bundesminsiterium für Gesundheit sieht sich nicht zuständig. Betroffene bleiben mit den schlimmen Auswirkungen alleine (ARD, "Kleine Tablette, großes Risiko" Tagesschau 2020).

 

Persönlicher Bericht einer betroffenen Mutter:

"Meine erste von drei Geburten fand in der Klinik statt. Dabei wurde ich nach zwei Tagen "herumprobieren" mit Cytotec eingeleitet. Mir wurde das Medikament ungefähr so vorgestellt:" Die Tabletten sind die beste Wahl. Sie sind zwar noch(!) nicht zugelassen, deswegen müssen sie hier unterschreiben, aber sie sind nun mal am geeignetsten."

Klingt eher nach "Geheimtipp" und des weiteren möchte man seinem Arzt ja gerne, während man schon halb im Geburtsmodus ist, vertrauen.

Ich hatte dann eine grauenhafte Geburt, unerträgliche Höllenschmerzen und Wehen ohne Pause. Halb im Schmerzdelirium konnte ich gerade noch um eine PDA betteln, die Herztöne meines Kindes sanken bei dieser Tortur natürlich immer wieder in gefährliche Tiefen. Eine Katastrophe. Mein Sohn hat autistische Züge, ich habe keinen Schimmer, ob es da einen Zusammenhang mit der Geburt und Cytotec gibt.

Die zwei weiteren Kinder kamen nach diesem traumatischen Erlebnis Zuhause zur Welt - sanft, angenehm und heilsam." (13.02.2020 - Ihre Meinung - Tagesschau)

 

Es wird deutlich, dass die häufige und z.T. zu hoch dosierte Gabe von Cytotec als Mischform der strukurellen und physischen Gewalt im Kontext von Geburtshilfe bezeichnet werden kann. Erfolgt die Gabe zusätzlich unter Aufklärungsfehlern und Druck kommt die Komponente psychische Gewalt hinzu. Leidtragende sind Mutter und Baby. Kern des Problems bleibt überdies die hohe Einleitungsquote als solche, die eng mit dem errechten Entbindungstermin verknüpft ist, welche wiederum leider häufig fehlerbehaftet ist (vgl. "Auch das ist Gewalt": Messfehler bei ET-Berechnung durch Ultraschall). Überdies sollte bei weiteren Studien zu Cytotec das Geburtserleben der Mutter berücksichtigt werden - ganz den WHO-Forderungen entsprechend.

 

Ein erster Erfolg zum Thema Cytotec:

Anfang 2020 wird in der Presse vermehrt über die prekäre Situation berichtet, wodurch viele Frauen und Schwangere aufgeklärt werden und sich bei einer eventuellen Geburtseinleitung aktiv gegen eine Gabe von Cytotec wehren können oder auf eine korrekte Dosierung achten können. Eine Stellungnahme des Gesundheitsministeriums bleibt trotz Anfragen von BR und ARD aus - wie in diversen anderen Fällen rund um das Thema Geburtshilfe (vgl. Bundestagspetition für eine Geburtshilfereform und Schutz vor Gewalt)

 

Pressestimmen und Stellungnahmen zur Cytotec-Debatte 2020 - eine Auswahl:
 

 

Fachtexte zur Geburtseinleitung

 

 

Weiterlesen zum Thema "Auch das ist Gewalt": Kristellern | Fehlschätzung des Gewichts | Einleitung mit Cytotec |Dammschnitt | Kaiserschnitt |ET-Messfehler mittels Ultraschall

 

Stand: 13.02.2020

Stand: 30.09.2024

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